Willkommen im Sächsischen Hof!
Und das, verehrter Gast, mitten in Thüringen, jedoch in einer Stadt, von der Jahrhunderte lang das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach regiert wurde.
Als ob das nicht schon verwirrend genug wäre, hieß das spitzgiebelige Haus am Herderplatz lange, bevor es der herzogliche Mundkoch François le Goullon als Gasthaus eröffnete, »Schwarzburger Hof«. Weil das Gebäude den Grafen von Schwarzburg gehörte, die hier ein- und ausgingen, wenn sie, heute würde man sagen, eine Dienstreise nach Weimar führte.
Der Name »Schwarzburger Hof« wechselte später zu einem anderen Lokal über, und selbst beim »Hotel de Saxe« des aus Metz stammenden Monsieurs Goullon blieb es nur sechs Jahrzehnte. 1870/71 tobte der deutsch-französische Krieg, Patriotismus war gefragt, und aus dem »Hotel de Saxe« wurde der »Sächsische Hof«. So heißt er bis auf den heutigen Tag.
Ein Krieg griff zum zweiten Mal, weitaus drastischer, in seine Geschichte ein. 1945 wurde das Gasthaus bei einem Bombenangriff zerstört.
Wenn das, verehrter Gast, ein paar Informationen zu viel auf einen Schlag waren, wie wär’s mit einem Bier, einem hellen oder schwarzen gar?
Die nächste Portion Geschichte gefällig?
1429 wurde das Gebäude, eines der ehrwürdigsten Renaissancehäuser Weimars, zum ersten Mal erwähnt. Es trägt die Adresse Eisfeld 12, wendet sich aber mit seinem Giebel dem Herderplatz zu, einer der ältesten Quadratmeilen der Stadt, beherrscht von der Stadtkirche »St. Peter und Paul« und dem Denkmal ihres bedeutendsten Predigers Johann Gottfried Herder. Das Haus, das von den Deutschordensrittern auf die Schwarzburger Grafen (siehe oben) und später unter anderen auf die Familien Vitzthum, Dieskau und Witzleben überging, war ein so genanntes Freihaus. Damit unterlag es weder Frondiensten, städtischen Abgaben noch militärischen Einquartierungen. Gut für die jeweiligen Besitzer, schlecht für Stadt und Staat, dachte sich sicher Herzog Carl August, als er 1811 jene Privilegien aufhob.
Immer noch Appetit auf Geschichte?
Oder haben Sie sich schon für ein Gericht entschieden?
Der berühmteste Gast kehrte am Eisfeld 12 ein, als hier noch gar kein Gasthaus war: Johann Wolfgang Goethe. Der schriftstellernde Jurist aus Frankfurt, schon bekannt durch den »Götz« und »Die Leiden des jungen Werthers«, fand hier am 7. November 1775 seine erste Unterkunft, als er auf Einladung des Herzogs in Weimar einzog. Bis zum 18. März (nach anderen Quellen 16. März 1776) wohnte er beim Kammerpräsidenten von Kalb, vermutlich unentgeltlich.
Die nächste Wohnung am Burgplatz 1 kostete schon 15 Taler pro Quartal. Goullon, der Mann aus dem Mutterland der Kochkunst, brachte es durch Braten, Pasteten und Küchlein offenbar zu mehr als bescheidenem Wohlstand. Ein bisschen trug auch der Quartiergast von 1775 dazu bei. Im Goethe und-Schiller-Archiv finden sich Rechnungen von Goullons Hand für den »Herrn Geheimrath von Göthe«, u. a. für eine »halbe Pastet von Gänseleber mit Trüffel und Gelee oder »zwei Pasteten von Gänseleber mit Trüffeln«. Goullon quittierte die Reichstaler mit »unterthänigstem Dank«.
Der Gastronom kaufte sich vom Erkochten und Erbratenen das Haus Ackerwand 9, wo noch heute ein »G« über dem Eingang vom ehemaligen Besitzer kündet. Sein Sohn Heinrich Conrad lebte mehr von der Bekämpfung der nachteiligen Folgen des guten Essens, er war nämlich ein angesehener Arzt in Alt-Weimar. Vater Goullon galt nicht nur als erfahrener Praktiker am Herd, sondern auch als bekannter Kochbuchautor. Sein »Eleganter Theetisch« erschien erstmals 1809 in Weimar. 1821 kam in Leipzig das »Kochbuch für die vornehmen Herrschaften« heraus, ein weiteres Buch trug den Titel »Der neue Apicius«,benannt nach jenem Koch der römischen Kaiserzeit, der Gerichte wie »Eierkuchen mit Hollunder« und »Klopse von Thunfisch« in seinem Repertoire hatte.
Am Grab des älteren Goullon auf dem historischen Friedhof fand bis weit in die Nachkriegszeit ein Ritual eigener Art statt. Weimars Köche ehrten ihren berühmtesten Kollegen mit einer Kranzniederlegung (wobei gewiss die Lorbeerblätter nicht fehlten). Goullons Nachfolger im »Sächsischen Hof« war seit dem Jahr 1971 Helmut Trommler mit Familie. Einen Höhepunkt in der mittlerweile fast 200-jährigen Geschichte des Gasthauses am Herderplatz markierte das Jahr 1999, in dem Weimar als »Kulturstadt Europas« Besucher aus nah und fern anzog, von denen viele ihren Fuß in das Traditionslokal im Herzen der Stadt setzten. Nach Helmut Trommlers allzu frühem Tod im Jahr darauf wird der »Sächsische Hof« von seiner Witwe Renate und den Söhnen Torsten, Mario und Dirk weitergeführt.
Das spitzgiebeligealte Haus im Schatten der Stadtkirche »St.Peter und Paul« ist ein beliebter Treffpunkt geblieben, und am alljährlichen Zwiebelmarkt Anfang Oktober kann es seine Gäste kaum fassen. Stammtische von Handwerkern, Sportlern und Wanderfreunden sorgen ebenso für »Lokalkolorit« im wahrsten Sinne des Wortes wie die Bilder an der Wand, die Stadtansichten, Alt-Weimarer Originale sowie eine Chronik der Schankanlagenbauerfamilie Trommler zeigen, der Helmut Trommler entstammte.
So nahe am Schauplatz eines Krimis wie im Frühjahr 2006 war das Gasthaus noch nie. Peter Sodann und Bernd Michael Lade, die Kommissare Ehrlicher und Kain, drehten am Eisfeld und an anderen Schauplätzen den 42. mdr-Tatort »Schlaflos in Weimar«. Ihnen blieb auch Zeit für ein außerdienstliches Bier und einen Schwatz mit Dirk Trommler über Weimars Geheimnisse. Denn wenn der nicht gerade Bier zapft, kutschiert er Touristen mit seiner Postkutsche durch verwinkelte Altstadtstraßen. Noch Fragen, lieber Gast, oder doch schon das Hauptgericht? So bleibt doch fast alles beim Alten, während sich die Welt dreht und auch am beschaulichen Weimar der Lauf der Zeit nicht vorübergeht. Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren mehr denn je der Welt geöffnet und begrüßt ihre Gäste, ob sie nun Touristen sind oder Einwanderer, die von Zuhause weggehen mussten und hier Zuflucht und Heimat finden.
Das Tempora mutantur spiegelt sich im Sächsischen Hof wieder wie schon zu Geheimrats Zeiten und so kochen, braten und kellnern am Eisfeld heute willkommene Neubürger aus dem Nahen Osten, aus Tschechien, Russland, der Ukraine und sogar China neben ihren Kollegen, die auf Schicht in Thüringer Mundart witzeln. International auch die Jazz-Combos, die im Sommer immer wieder im Biergarten aufspielen, unverbesserlich aufmüpfig die Stadt-Bürger, die im „Säxschen“ mal ebnen eine Initiative gründen, wenn wieder einmal die Landeshauptstadt begehrlich ihre Finger ausstreckt nach den Weimarer Kultur-Instituten.
Ob Lokalpatriot, polyglotter Zugereister oder Besucher aus Köln: Schmecken lässt man es sich hier traditionell und deftig.
Übrigens. S´Essen wird kalt …
Bernhard Hecker & Pierre C. Deason-Tomory